Neue Expeditionsreisen trotzen der Krise und bieten Innovationen. Kajaks ergänzen das Angebot der Expeditionsschiffe und Museen eröffnen in der Antarktis
In Zeiten ökonomischer Krisen und eines reservierten Buchungsverhaltens der Reisenden gehört schon eine gehörige Portion Mut dazu, mit neuen Produkten das vorhandene Expeditionsangebot zu ergänzen. Kein Problem für Sven-Olof Lindblad, dessen Vater bereits 1970 das weltweit erste Expeditionsschiff baute und für Touristen Expeditionen in die Antarktis organisierte. In Zusammenarbeit mit der renommierten National Geographic Society (NGS) tritt Lindblad Expeditions seit diesem Jahr auf dem deutschen Markt an und bietet neue Expeditionsalternativen. Was erwartet den Gast auf einer Reise in die Antarktis?
Santiago als Tor in die Antarktis
Wer in die Antarktis reist tut gut daran, sich den Weg der Einreise und das Vorprogramm sorgsam auszuwählen. Die Destination ist von Deutschland aus nicht an einem Tag zu erreichen und für den Weg zur antarktischen Halbinsel bieten sich lediglich Chile und Argentinien, am günstigsten ist der Flug mit der spanischen Iberia, an. Eine spannende Alternative, die zunehmend von Veranstaltern gewählt wird, ist Santiago de Chile. Ohne zu viel Mühe in das Vorprogramm zu investieren, lohnt ein Besuch in einem der vielen kolonialen Weingüter in den Bergen der Anden. Ein Beispiel ist das mondäne Casa Real, ein Weingut aus dem gleichen Jahr wie die Gründung der NGS. Eine knappe Autostunde von Santiago entfernt in mitten der Rebhänge bietet das über 40 Hektar große Parkgelände des Herrenhauses mit seinen Weinproben und Erholungsmöglichkeiten eine luxuriöse Art, sich für die Weiterreise in die Antarktis einzustimmen. Wer das turbulente Stadtleben bevorzugt, dem sei das Grand Hyatt, das erste Haus am Platz, in Santiagos Innenstadt empfohlen.
Das neue Flagschiff der Lindblad Flotte
„Seit dem wir das neue Schiff haben, gibt es keine einzige Beschwerde über die Kabinen mehr“ scherzt Tom Ritchie, Expeditionsleiter bei Lindblad und bereits seit den 70er Jahren im Südpolarmeer unterwegs. Das Flagschiff von Lindblad ist seit diesem Jahr die neue National Geographic Explorer. Das Schiff wurde von als ehemalige Hurtigrouten Fähre ‚Lyngen’ übernommen und in siebenmonatiger Tranformationsarbeit für 60 Millionen US$ in ein hochmodernes Expeditionsschiff konvertiert. Im Unterschied zu den konventionellen Expeditionsschiffen wurde die National Geographic Explorer deutlich aufgerüstet und verfügt neben 36 Kajaks, über ein kabelgeführtes Unterwasserfahrzeug, Unterwasserkameras und Videomikroskope. Alle vier Elemente sind neu in der deutschen Expeditionskreuzfahrt und stellen sicher eine willkommene Weiterentwicklung des Angebots dar. Auf jeder Reise ist ein Taucher mit spezieller Unterwasserausrüstung an Bord, um das Leben unter dem Meeresspiegel täglich in Wort und Ton zu dokumentieren. Eisberge, Pinguine oder Robben sind unter Wasser mindestens so spannend wie aus der gewohnten Perspektive.
Die Reiserouten einer Antarktisexpedition ähneln sich im Expeditionsmarkt. Einschiffungshafen ist meist Ushuaia auf Feuerland und Beginns des Rittes durch die Drakepassage. Dieses Seegebiet südlich von Kap Hoorn, einst von Sir Francis Drake entdeckt, hat bis heute über 11.000 Menschenleben gekostet, meist tapfere Segler im 19.Jahrhundert. Die Strömungen des Pazifiks fließen auf dieser ca. 40stündigen Passage in den Atlantik und verursachen die höchsten Wellen aller Weltmeere. Aber diesmal bleibt alles ruhig.
Alte Forschungsstationen konvertieren zu Museen
Erster Anlaufpunkt einer Antarktisexpedition sollte der Süd-Shetland Archipel sein. Die Aitcho Inseln haben von den nördlichen Vulkaninseln die höchste Dichte an brütenden Pinguinen im Spätsommer und zugleich die meisten Moos- und Grünflächen der Halbinsel. Eine Besonderheit dieser Expedition liegt darin, dass die Gruppen zur Anlandung in der Antarktis nicht nur nach Größe, sondern auch nach Interessen der Reiseteilnehmer zusammengestellt werden. So werden meist mindestens drei verschiedene Wanderungen angeboten, die bis zu 10 km Umfang haben können. Auch herausfordernde Bergbesteigerungen durch tiefen Schnee sind dabei. Auf Cuverville Island im Errera Kanal wird am nächsten Tag gleich der höchste Berg der Insel mit Panoramablickgarantie erklommen. Der Großteil der Gäste schließt sich den Herausforderungen an, kleinere Gruppen wählen die Promenade am Ufer in Mitten der Pinguine oder Eisfahrten mit dem Zodiac auf der Jagd nach Seeleoparden als willkommenem Kamerafutter.
„Vor allem die Landschaft hier unten und die Beobachtung der Tiere aus der Nähe waren es, die mich von der Queen Mary 2 zu diesem exklusiven Expeditionsschiff gebracht haben“ fasst Ben Lyons, der erste Offizier an Bord, seinen Entschluss zusammen. Fünf Jahre war er Offizier auf der Queen Mary2, eine „tolle Zeit“ aber eben „doch nicht zu vergleichen“, so der Amerikaner. Durch die Gelache Strasse begleitet von Walen führt der Weg zu Port Lockroy, einer alten englischen Station, die zwischen den Jahren 1943 und 1962 für meteorologische Messungen genutzt und anschließend verlassen wurde. Niemand kümmert sich um die verfallende Station bis 1998 mit dem zunehmenden Tourismus die Station in ein Museum konvertiert wurde. In den Sommermonaten besetzt, spornte der Erfolg die in der Antarktis konkurrierenden Nationen Argentinien und Chile an, auch deren längst verlassenen Stationen zu reaktivieren. Seit diesem Jahr nun ist es soweit. Ein Höhepunkt jeder Antarktisreise ist Paradise Bay. Selbst die alten Walfänger im ausgehenden 19.Jahrthundert waren von der Schönheit dieses Panoramas derart beeindruckt, dass sie dieses mit Paradies-Bucht benannten. Direkt am Fuße der Bucht liegt die argentinische Forschungsstation Brown, benannt nach einem argentinischen Flottenadmiral des späten 19. Jahrhunderts. Über Jahrzehnte einsam den Pinguinen überlassen, wird die Station nun renoviert, antarktische Forschungen und ein weiteres Museum sollen zur kommenden Sommersaison ihren Start aufnehmen. Ähnliches gilt für die gleich um die Ecke liegende chilenische Station Gonzales am Eingang zur Paradies-Bucht. Auch sie lange verlassen, ist seit dieser Saison wieder besetzt. Nach dem Vorbild von Port Lockroy hat hier bereits ein weiteres kleines antarktisches Museum eröffnet. Konkurrenz belebt am Ende der Welt das Geschäft. Mit dem touristenwirksamen Geschenk einer antarktischen Museumsmeile haben selbst die Reiseveranstalter nicht gerechnet.
Paddeln im Südpolarmeer
Mikkelson Harbour liegt in Reichweite und wird noch heute als Unterschlupf für Einzelreisende genutzt, die mit kleinen Segelbooten in die Antarktis reisen. Die kleine Insel wurde durch Otto Nordenskjold auf seiner großen Antarktisexpedition 1902-1904 entdeckt (der berühmte Schwede entdeckte zudem auch die legendäre Nordost-Passage in der Arktis). Die geschützte Bucht bei strahlendem Sonnenschein war die beste Gelegenheit, die 36 mitgeführten Paddelboote zu nutzen. Kajaks im ewigen Eis der Antarktis? Nicht alle der NGS Experten waren für die Innovation, steht Lindblad doch für einen sanften und nachhaltigen Tourismus in den sensiblen Ökosystemen der Welt. So wurden über ein Jahr Erfahrungen gesammelt, bevor diese umweltfreundlichste Alternative ohne Außenbordmotor entwickelt wurde. Eine spezielle Kajakplattform ermöglicht das gefahrlose Ein- und Aussteigen auch in Polargebieten, ein spezieller „Emergency Responder“ sendet bei Wasserkontakt sofort Signale zum Schiff und den begleitenden Zodiacs. Dabei ist ein Kentern der flotten Boote praktisch kaum möglich, sie sind stabil, liegen wie ein Brett im Wasser und entwickelten sich zum Knüller auf der Expeditionsreise. Auch wer bis dahin noch nie im Kanu gesessen hat will sich diese Gelegenheit, ebenso wie zwei Tage später in der Nico Harbour Bucht, nicht entgehen lassen. Nachdem sich vorsichtig die ersten Mutigen in die Schlauchboote wagen, dauert es nicht lange, und die meisten müssen erst einmal anstehen, bis einer der Kajaks wieder frei wird. Das Wetter ist stabil und in Mitten der Pinguine und Robben geht in Mikkelson Harbour paddelnd einer der schönsten Tage der Reise zu Ende.
Expeditionen in die Antarktis werden mittlerweile in diversen Varianten angeboten. Wer den weiten Weg zum Süd-Ende des Globus auf sich nimmt, für viele eine einmalige Gelegenheit im Leben, sollte vielleicht ein Reiseangebot mit dem landschaftlich schönsten Teil der Antarktis einplanen: Süd-Georgien. Die Insel liegt innerhalb der antarktischen Konvergenz, wenn auch nördlich des 60. Breitengrades (der eigentlich die antarktische Zone definiert). Bis zu 3000 Meter hoch ragen die Berge der zu 57% vergletscherten Insel über dem Meersspiegel. Die im Sommer grüne Insel verfügt über einen sagenhaften Tierreichtum, da sie als Nist- und Brutstätte für viele Tiere dient. Berühmt ist Süd-Georgien für seine Königspinguine, allein in Andrews Bay brüten über 250.000 dieser gold-orange schimmernden zweitgrößten Pinguinart.
Open Air Museum Süd-Georgien
Die Insel wurde nach seiner Entdeckung durch James Cook im 18. Jahrhundert (der es nach King Georg benannte) vor allem ab 1904 als Wahlfangstation ausgebaut. Norwegische Walfänger hatten Land von der englischen Krone gepachtet und eine Vielzahl großer Walfangstationen gebaut. Über 80.000 Wale wurden hier geschlachtet und ihr Öl nach Europa verkauft. Die Überreste der bis in die späten 60er Jahre betriebenen Walschlachthöfe sind seit letztem Jahr in Grytviken in einem open-air Museum als einer Art Industriedenkmal zu bewundern. Neue Bildtafeln weisen den Weg und geben dezidiert Auskunft über die Geschichte des Walfangs auf der Insel und die Funktion der einzelnen zu besichtigenden Vorrichtungen. Das Museum im alten Haus des Gouverneurs der Insel ist beachtlich und gibt Einblick in die dramatische Rettungsaktion Sir Ernest Shakletons, dessen traumatische Odyssee erst in der Walfangstation Stromness an der Ostseite der Insel 1916 ihr Ende fand. In den letzten Jahren hat der British Antarctic Heritage Fund vereinzelte Investitionen tätigen können. Neben dem Freiluftmuseum wurde auf Prion Island vor Südgeorgien ein kleiner Vogelwanderweg errichtet, um aus sicherer Distanz die Brutstätten der Wanderalbertrosse beobachten zu können. Ein großes Geschenk und seltener Anblick für die Tierfreunde. Die einzelnen Expeditionsschiffe müssen für das Anlaufen dieser kleinen Inseln extra bezahlen, so dass nicht alle Veranstalter brütende Albatrosse anbieten können.
Fünf Tage sind ein optimaler Zeitrahmen für Expeditionen auf der Insel und die Erfahrung der Lindbladexpeditionen erlaubt es, in Absprache mit den Behörden den letzten Teil der berühmten Shakelton Reise als deren letzte Etappe nachzuwandern. Auch dies ist selten in den Angeboten der einzelnen Expeditionsreisen, gute Wetterbedingungen vorausgesetzt. Von Fortuna Bay führt der Weg knapp 8 km über ein kleines Eisplateau hinunter zur Stromness Bucht, wo Shakelton endlich Menschen und Hilfe fand. Heute ist Stromness einer der einsamsten Plätze der Erde, zumal das Innere der alten, historischen Wahlfangsstation und deren Reste nicht betreten werden darf. Ein Sicherheitsabstand von mindestens 200 Metern muss bei allen alten Walfangstationen eingehalten werden. Nur Grytviken wurde zu einem Freiluftmuseum konvertiert. Die Sanierung der anderen Walfangstationen zu Industriedenkmälern wäre zwar hoch interessant, für die Insel aber zu kostspielig.
Exzentrische Schönheiten von Nightingale Island
Von Süd-Georgien aus gibt es zwei Alternativen der Weiterreise. Die kürzere Route führt über die Falkland-Inseln zurück nach Ushuaia. Wer über genügend Zeit verfügt wählt für die Heimreise die Route über Tristan da Cunha nach Kapstadt. Nach vier Seetagen wird der Archipel Tristan da Cunha erreicht. Über 2133 km südlich von St. Helena und 2.444 westlich von Kapstadt gelegen, gehört diese einsamste aller bewohnten Inselgruppen heute ebenso wie Süd-Georgien zu Großbritannien und steht unter englischer Verwaltung. Aktuell leben 276 Menschen aus 8 Familien ohne regulären Transportanschluss an den Rest der Welt auf der Hauptinsel Tristan da Cunha. Meist kommen bis zu 6 Passierschiffe pro Jahr vorbei, in dieser Saison werden es erstmals 8 Schiffe sein. Es wird ein gutes Jahr für die Inselgruppe, deren Perle Nightingale Island ist. Die kleine Insel südlich von Tristan da Cunha ist Heimat der brütenden Gelbschnabelalbatrosse und nur bei günstigsten Wetterbedingungen anzulanden. Die Tiere brüten auf den Pfaden der Insel und sich aus nächster Nähe zu bestaunen, alles unter Aufsicht der Experten von Tristan da Cunha, ohne deren Begleitung der Besuch von Nightingale nicht möglich ist. Neben den Gelbschnabelalbatrossen ist die Insel für ihre endemische Pinguinart berühmt. Der exzentrische Südliche Berghüpfer Pinguin hat nur hier seine Heimat und gehört mit seiner gelben Federkrone neben den Königspinguinen Süd-Georgiens zu den schönsten, sicher aber ausgefallenen Pinguinen. Noch schwieriger und weit seltener ist die Anlandung auf Inacessible Island, der dritten Insel des Archipels. Wir haben das große Glück und können zur Expedition auf die felsige Insel. Der letzte Besuch eines Schiffes liegt bereits über 3 Jahre zurück, da die schwere Brandung die Anlandung für die Zodiacs verhindert und die Behörden daher einem Landgang meist nicht zustimmen.
Kapstadt als Tor zu Welt
Nach weiteren vier Seetagen wird Kapstadt erreicht. Der Sommer auf der südlichen Hälfte der Weltkugel verwöhnt die Reisenden neben den Vorträgen der Lektoren an Bord zur Vertiefung der erlebten Eindrücke und Ereignisse. Kein besserer Ort könnte Antarktisreisende angemessener in Empfang nehmen als das Kap der Guten Hoffnung. Phantastische Momente im Erleben von Landschaft, Flora und Fauna führen zurück in die Welt der Zivilisation. Da die Rückreise nicht sinnvoll an einem Tag zu bewerkstelligen ist, sollte, wenn möglich, der Schatten des Tafelberges genutzt werden, um in Ruhe wieder in die alte Welt zurückzukehren, bevor die endgültige Weiterreise nach Deutschland angetreten wird. Den schönsten Rahmen in Kapstadt bildet hierfür das frisch renovierte Mount Nelson Hotel der Orient-Express-Gruppe. Am Fuße des Tafelberges und in mitten eines 4 Hektar großen Parks bietet das traditionsreiche Haus aus dem Jahr 1899 nicht nur den modernsten und größten Spa am Kap, sondern den adäquaten Ausklang einer phantastischen Expedition zum südlichen Ende der Welt. Luxus zu erschwinglichen Preisen. Auch James Cook, die die Antarktis zu erst entdeckt und Süd-Georgien bereist hat, fühlte sich hier wohl und wählte nicht ohne Grund den bis heute gültigen Beinamen des Kaps der Guten Hoffnung.
Informationen:
Lindblad Expeditionen werden in Europa vertreten von:
Oceanstar GmbH, Bremen
www.oceanstar.de
Tel.: 0421/4686-570Vorprogramm:
www.hotelcasareal.com. www.santiago.grand.hyatt.com
Nachprogramm:
www.mountnelsonhotel.co.za
Text: Frank Sistenich, Fotos: Frank Sistenich